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Asiaticus: Wo greift Amerika ein?

in:

Die neue Weltbühne, Prag-Zürich-Paris, Nr. 43 vom 21. Oktober 1937, S. 1348-1351

 

Shanghai, im September

 

Der Kommandeur der japanischen Flotte im shanghaier Kampfgebiet hat sich einen japanischen Juristen mitgebracht, der fachmännisch auseinandersetzt,  warum der fernöstliche Krieg kein Krieg ist. Seine ‘Bemühung gilt nicht den Chinesen; für sie bedeutet der getarnte Krieg, dass zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten nicht unterschieden wird; dass also Krankenhäuser, Verwundetenlager und Rotekreuzkolonnen bombardiert und dass keine Kriegsgefangene gemacht werden. Der japanische Fachmann für internationales Recht hat nur den Ausländern zu beweisen, dass eine Blockade der chinesischen Küste auch ohne Krieg zulässig sei. Diese »friedliche Blockade« unterbindet jegliche chinesische Schiffahrt, und ausländische Schiffe werden kontrolliert, ob Sie Kriegsmaterial führen. Ausländische Schiffe sollen nicht angegriffen werden, sofern sie keinen Widertand leisten und das Vorkaufsrecht der Japaner fur Kriegsmaterial an Bord anerkennen. Beharren sie darauf, Kriegsmaterial nach China zu bringen, so wird ihnen die Beschlagnahme der Schiffe angedroht.

 

Von deutscher und italienischer Seite sind keine Einwände gegen diese »friedliche Blockade« erhoben worden; aber amerikanische, englische und französische Schiffseigentümer mobilisieren ihre Juristen, um zu beweisen, dass keine Blockade der chinesischen Küste zulässig sei, solange der Krieg nicht erklärt wurde. Von amerikanischer Seite wird ausserdem juristisch gefolgert, dass die Verhängung einer Blockade, ob »friedlich« oder nicht, eine Kriegserklärung Japans an China bedeutet. Aber da die englischen Juristen in diesem Punkt nicht mitgehen, ist man (einschliesslich der Amerikaner) vorläufig zu dem Ergebnis gelangt, dass die Blockade nicht »rechtskräftig« sei, solange keine Kriegserklärung vorliegt, und dass sie daher von englischen, amerikanischen und französischen Schiffen nicht anerkannt werde.

 

Seit Monaten werden nicht nur chinesische Truppenansammlungen, Flugplätze und Bahnlinien sondern auch unbefestigte Städte, Universitäten, Krankenhäuser, Fabriken und Warenhäuser von japanischen Geschwadern bombardiert. In Shanghai und am unteren Jangtse operiert eine japanische Landungsarmee von etwa hunderttausend Mann, unter stützt von über vierzig Kriegsschiffen und einigen hundert Kampfflugzeugen. Dieser Kriegsmacht steht hier eine chinesische Abwehrmacht von mehreren hunderttausend Mann entgegen. An anderen Fronten, im Nordwesten und im Norden, das gleiche Bild: japanische Invasion und chinesischer Widerstand, mit grossen Armeen auf beiden Seiten. Und da streiten die Juristen, ob die Blockade »rechtskräftig« sei, da bisher kein Krieg erklärt wurde!

 

Japan tarnt seinen Krieg als »Zwischenfall« und »friedliche Blockade«, um zu verhüllen, dass es auch Krieg gegen Englands und Amerikas Interessen in China führt. Es spekuliert auf Englands Bereitschaft zu einem Kompromiss. Kriegsblockade – das wäre ja die Unterbindung des auswärtigen Handels mit China, und jeder solche Versuch würde mit internationaler Intervention beantwortet werden. Die »friedliche Blockade« ist aber nur rigoros gegen China; für die auswärtige Schiffahrt wird sie abgestuft, je nach der verfügbaren Flottenstärke der einzelnen Mächte und der Nähe ihrer Flottenstützpunkte. So liegt die Bucht von Kanton – wegen der unmittelbaren Nachbarschaft von Hongkong, das jetzt ein Aussenposten der Flottenbasis von Singapore ist – ausserhalb der Blockadezone. Die passierenden Schiffe werden unterschiedlich behandelt; manche können ohne Kontrolle passieren, andere werden durchsucht. Die Blockade soll nach und nach ausgebaut werden, zunächst gegen die Schiffahrt jener Länder, die keine starkee Flotte im Pazifik haben, und dann gegen die gefährlicheren unter den pazifischen Mächten. Japan beansprucht die absolute Vorherrschaft zur See im östlichen Pazifik.

 

England ist direkt betroffen und hat bei erfolgreicher japanischer Expansion am meisten zu verlieren; aber für Amerika ist der Ferne Osten auch von grosser Bedeutung – als Zukunftsmarkt. Japan verlegt seinem Konkurrenten Amerika den Handelsweg nach Asien, vor allem nach China. Für England ist China zwar sehr wichtig, aber doch nur der letzte Ausläufer seiner Kolonialmacht in Asien. Singapore, erst in den letzten Jahren beschleunigt ausgebaut, ist als Barriere gegen einen japanischen »Zug nach dem Süden« gedacht, und Hongkong wird von englischer Seite selbst als »outpost of the Navy« bezeichnet. Die eigentliche asiatische Zone der britischen Flotte erstreckt sich vom Suezkanal bis nach Singapore. Nordöstlich davon stützte England sich jahrzehntelang auf das Bündnis mit Japan, das dann im Weltkrieg gelöst wurde, unter dem vereinten Druck der USA, Kanadas und Australiens. England war aber weiter versöhnlich gegen Japan – auf Kosten Chinas; erst nach 1931 änderte sich das, als Japan in China direkt britische Interessen attackierte.

 

Auf der washingtoner Konferenz von 1920 brachten die USA den  Neunmächtevertrag mit China zustande. Der von Japan mitunterzeichnet wurde und die Mächte verpflichtete, die territoriale Integrität, die Souveränität und die Unabhängigkeit Chinas zu respektieren. Dieser Vertrag, der mit der Beschränkung der japanischen F1ottenrüstung verquickt wurde, diente zwei Grundlinien der amerikanischen Politik im Fernen Osten: 1. Schutz der Einheit Chinas gegenüber Angriffen von aussen. 2. Amerikanisch-englische Kooperation gegen Japan.

 

Amerika hegte keine aggressiven Pläne gegen Japan, war aber dessen schärfster Gegner bei der Schaffung eines grossen kontinentalen Imperiums im Fernen Osten. Die USA und Japan, getrennt durch den Stillen Ozean, sind sicher vor Angriffskriegen von der anderen Seite. Die Hast, mit der die USA in den letzten Jahren ihre Verpflichtungen auf den Philippinen loszuwerden suchten, hängt damit zusammen, dass jedem isolierten Krieg gegen Japan ausweichen wollten. Dagegen sind die USA vital interessiert an der Schaffung einer neuen Mächtekonstellation, die die Ziele des japanischen Imperiums durchkreuzt. Die amerikanische Flotte im Pazifik kann entscheidende Bedeutung erlangen, sobald Japan gleichzeitig auf einen starken Widerstand in China stösst und gegen sich die USSR und England hat. Für die USA ist daher, ebenso wie für die USSR, Chinas Erstarkung von weltpolitischer Bedeutung.

 

Dagegen wird Chinas wachsende nationale Abwehrkraft von England mit sehr gemischten Gefühlen aufgenommen. Seine asiatischen Kolonialinteressen würden durch ein starkes und selbständiges China sicherlich nicht gefördert werden. Aber England muss sich mit dieser Entwicklung abfinden und sie sogar in bestimmten Grenzen fordern, um die direkte und ungleich grössere Gefahr, die seinen Kolonialinteressen durch Japan erwächst, abwehren zu können. Überdies verträgt es sich schlecht mit dem englischen Prestige in Asien, wenn China sich nur auf die aktive Hilfe Amerikas und der USSR stützen kann. Aus alledem zog die englische Diplomatie den Schluss, der Entscheidung noch auszuweichen, sei es auch um den Preis weiterer japanischer Eroberungen in Nordchina. Aber China tanzt nicht mehr nach der englischen Pfeife, und Japan beschränkt sich nicht auf den Krieg in Nordchina sondern greift Shanghai und Nanking an. In dieser Lage rücken USA und USSR zusammen, womit die Amerikaner England zeigen wollen, dass dessen Passivität und Störungsaktionen durch: eine aktive Zusammenarbeit mit den Russen kompensiert werden können. Gegenwärtig bereiten sich die USA wieder auf aktive Politik vor – auf der Grundlage der englisch-amerikanischen- Kooperation, wenn England mitmacht und Frontstellung gegen Japan bezieht; sonst aber auf der Grundlage eines pazifischen Friedensblocks (zusammen mit China und der USSR), der englischen Kompromisslösungen und Störungsaktionen den Weg verlegt. Japan führt Krieg, ohne ihn zu erklären, aus zweierlei Gründen: um die Gefahr der internationalen Intervention nicht zu verschärfen, denn eine Kriegsblockade würde den Mächten die formelle Handhabe zur Einmischung liefern; und weil ohne Kriegserklärung die alten Verträge, die Ungleichen Verträge, in Kraft bleiben, auch dann, wenn China den Angriff erfolgreich abgeschlagen hat. Die wichtigsten Nutzniesser dieser Verträge sind Japan und England, und sie wollen der chinesischen Regierung die Abschaffung dieser Verträge nicht ht erleichtern. Aus diesen Gründen ist es ausgeschlossen, dass Japan Krieg erklären wird (der wirk1iche Kriegführung behindert).

 

Dem Angreifer ist durch Verträge mit China, mit England und Amerika ein Angriffskrieg gegen China verboten. Japan respektiert dieses Verbot und konzentriert sich nur darauf»China auf die Knie zu zwingen«. Solange diese Aufgabe noch ungelöst ist, darf Japan nicht offen aussprechen, dass es auch um die ausländischen Interessen in China geht. Japan ist aus dem Völkerbund ausgetreten, hat aber den washingtoner Pakt formell nicht zerrissen; es hat ihn gebrochen und doch nicht verletzt, denn es hat Mandschukuo als »unabhängigen Staat« firmiert, der angeblich das Ergebnis einer mandschurischen Unabhängigkeitsbewegung ist, und auch der Angriff auf Nordchina trägt das Schild »Autonomie«.

 

Im Weltkrieg griff Amerika in Europa ein und brachte die Entscheidung. Im kommenden Weltkrieg (faktisch sind wir schon in seiner ersten Phase) wird Amerika seine Streitkräfte vor allem in der pazifischen Zone konzentrieren. Seine wichtigsten Partner im Fernen Osten werden die Sowjetunion und das um seine Befreiung kämpfende China sein. Die englisch-amerikanische Kooperation war lange Zeit Tokios Schreckgespenst – sie war aber immer nur eine potentielle Gefahr. Der pazifische Block USA-USSR-China ist mehr als eine Drohung, er ist eine rapid wachsende Kräftekonstellation, die dem japanischen Imperialismus den Prozess machen wird. England kann diese Kräftegruppierung im Fernen Osten nur im geringen Masse aufhalten; es wird sich ihr im Interesse des Imperiums anschliessen müssen.