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Asiaticus: Vom sterbenden Völkerbund

in:

Die neue Weltbühne, Prag-Wien-Zürich, II. Jahrgang, Nr. 15 vom 13. April 1933, S. 458-461

 

Shanghai, März 1933

 

Der Austritt Japans aus dem Völkerbund ist ein Akt schwärzesten  Undanks. Vierzehn Monate überließ Genf die Mandschurei den Japanern. Unmittelbar nach dem 18. September 1931 wurde der Völkerbund von China um Hilfe angerufen; seine Hilfeleistung bestand in der Entsendung der Lyttonkommission nach Ostasien, in Resolutionen und Berichten. Inzwischen wurde die Mandschurei von japanischen Divisionen erobert und besetzt. Wären auch die Völkerbundsberichte ein einziges Verdammungsurteil gegen Japan gewesen – es entscheidet die Tatsache, daß sie Japan so viel Zeit gewinnen ließen, seine militärischen Aktionen nicht hinderten, während sie China auf internationale Hilfe vertrösteten. Alles, um dem Völkerbund Japans Gewogenheit zu erhalten. Er wollte Zeit gewinnen, das unvermeidliche Urteil gegen Japan entsprechend den Interessen der Völkerbundsmächte abstimmen und China hinhalten. So vermochten ihn die Eroberung der Mandschurei und ihre Losreißung von China, die monatelangen Kämpfe in Schanghai, das Bombardement von Tschapei, der Überfall auf Schanhaikwan und der Feldzug gegen Jehol nicht davon zu überzeugen, daß Japan Krieg gegen China führt. Und als dem Völkerbund danach fast nichts mehr zu tun übrig blieb, hat ihm erst recht nicht China, sondern Japan den Rücken gekehrt. Der Völkerbund aber ist über diesen Undank gar nicht verzweifelt, im Gegenteil, er atmet auf …

 

Die Frage, ob Japan Krieg gegen China führt, ist in der Welt des Imperialismus nicht einfach auf Grund der Kriegshandlungen japanischer Truppen gegen chinesische Territorien und der gewaltsamen Losreißung großer Teile Chinas zu beantworten. China ist wie Japan Mitglied des Völkerbunds, hat gleich ihm den Kelloggpakt unterzeichnet, und im washingtoner Neunmächtevertrag hat sich auch Japan verpflichtet, die Integrität des chinesischen Reiches zu respektieren. Aber diese Verträge sind nicht zur Aufhebung imperialistischer Interessenzonen geschaffen worden. Im Gegenteil, sie stellen ein gegenseitiges Garantiesystem dar, innerhalb dessen zum Beispiel englische Aktionen in Ägypten, französische in Mesopotamien, amerikanische in Nikaragua und japanische in der Mandschurei nicht unter die Kriegsklausel fallen. Die Sorge der U.S.A. und der führenden Mächte des Völkerbunds gilt nur der Frage, inwieweit die neue japanische Expansionswelle das bisherige imperialistische Gleichgewicht im Fernen Osten erschüttert oder zerstört, wie es auf neuer Grundlage, nachdem die alte durch Japans gepanzerte Faust zerschlagen ist, wiederhergestellt werden kann. Deshalb waren Chinas Hilferufe allein noch keine Beweise für die Verletzung der Verträge und – selbst wenn sie als solche erkannt wären – keineswegs ein Grund, das offen auszusprechen und gar eine Gegenaktion zu unternehmen. Denn erstens sitzt man selbst im Glashaus und zweitens kann man sich nicht zuletzt auf Kosten des Hilferuf enden erneut verständigen. China ist kein Land sondern eine Interessenzone.

 

Es ist sehr aufschlußreich, auf Grund des Berichtes der von der Völkerbundsversammlung eingesetzten Untersuchungskommission, die das Fazit von siebzehn Monaten Schlichtungsversuchs des sogenannten »sino-japanese dispute« zusammenfaßt, zu verfolgen, wie der Völkerbund sich seiner Aufgabe entledigen wollte. Man höre zunächst das delphische Orakel in der Frage des Krieges.

 

»Zweifellos hat man es hier nicht mit einem Fall zu tun, wo ein Land den Krieg gegen ein anderes Land erklärte, ohne vorher die Verständigungsmöglichkeiten, die im Völkerbundpakt vorgesehen sind, auszuschöpfen. Auch handelt es sich hier nicht um einen einfachen Fall der Verlegung der Grenze eines Landes durch die bewaffneten Kräfte eines Nachbarlandes, da in der Mandschurei viele charakteristische Merkmale vorhanden sind, die ohne eine genaue Parallele in anderen Teilen der Welt sind ... Es ist jedoch unbestreitbar, daß die japanischen Truppen ohne eine Kriegserklärung sich eines großen Teiles des chinesischen Territoriums gewaltsam bemächtigten, ihn besetzten und in Konsequenz dieser Operation ihn abgesondert und als unabhängig von China erklärt haben.«

 

Nichts Genaues weiß man nicht. Ein Krieg wurde nicht erklärt, eine Grenzverletzung liegt nicht vor, es ist nur ein Stück Chinas von japanischen Truppen erobert und »abgesondert« worden. Das ist diplomatische Sprache ganz hoher Schule. In die Interessensprache übertragen heißt das: Japan hat in der Mandschurei besondre Interessen und ist durchaus berechtigt, sie auch mit militärischer Gewalt wahrzunehmen oder sicherzustellen. Das haben die interessierten Mächte auch früher getan. Es geht aber zu weit, wenn. Japan die Mandschurei ausschließlich für sich monopolisieren will. Das verträgt sich nicht mit der im washingtoner Neunmächtevertrag garantierten »Integrität« Chinas. Integrität heißt hier nicht etwa, daß ausländische Truppen auf chinesischem Territorium nichts zu suchen haben, sondern daß die besondren lnteressensphären nicht abgetrennt werden dürfen. Im englisch-japanischen Bündnis, das unter dem Druck Washingtons 1918 offiziell gelöst wurde war die »Integrität« Chinas ebenfalls garantiert; die damalige chinesische Regierung wollte das im Falle der Erneuerung gestrichen haben, da die Integritätsklausel in Wirklichkeit nur das Monopol der beiden Verbündeten auf die Beherrschung Chinas garantieren sollte.

 

Der Bericht verhehlt auch nicht, daß er die Gefahr nicht so sehr im japanischen Besitz der Mandschurei wie in seinen vermutlichen Folgen für die »Integrität« des übrigen China erblickt:

 

»Frühere Erfahrung zeigt, daß diejenigen, die die Mandschurei beherrschen, auch einen bedeutenden Einfluß auf die Angelegenheit des übrigen China, zumindest Nordchinas ausüben und unzweifelhaft strategische und politische Vorteile besitzen.«

 

England – teilweise auch Frankreich – hat in Nordchina Interessen im Eisenbahnwesen, im Bergbau und in den Häfen, außerdem eine Interessensphäre im Süden und im Jangtsetal; es übt, auch jetzt noch, einen bedeutenden Einfluß auf die Angelegenheiten des übrigen China aus. England und Frankreich vereitelten jede ernsthafte Möglichkeit, Japan an der Eroberung der Mandschurei zu hindern. Sie sind durchaus bereit, mit Japan unter Berücksichtigung seiner gestärkten Position im übrigen China zu kooperieren. Sie strapazierten den Völkerbund nur, um einerseits dem Vordringen Japans auf Nordchina Schranken zu setzen und andrerseits das nach der Niederlage geschwächte China in die Zange zu nehmen.

 

Weil der Völkerbund als geeigneter Schiedsrichter für diesen löblichen Zweck empfohlen und die Grundlage der Verständigung mit Japan bereitet werden soll, zählt der Bericht die Sünden Chinas mit aller Gründlichkeit auf. Was die Mandschurei betrifft, haben die chinesischen Behörden vor Ausbruch des Konfliktes dem armen Japan »Schwierigkeiten in der Ausübung von Rechten, die nicht bestritten werden konnten, in den Weg gelegt«. Die Politik der internationalen Kooperation, wie sie in der washingtoner Konferenz eingeleitet wurde, wäre »in der Hauptsache durch die Gewalt der ausländerfeindlichen Propaganda, die in China von Zeit zu Zeit durchgeführt wurde, hinausgezögert worden«. Diese Propaganda habe »durch Benutzung des wirtschaftlichen Boykotts und des ausländerfeindlichen Unterrichts in den Schulen solche Ausmaße erreicht, daß sie zur Erzeugung der Atmosphäre, in der der gegenwärtige Streitfall ausgebrochen ist, beitrug«. »Die Anwendung des Boykotts seitens der Chinesen vor den Ereignissen des 18. September 1931, um ihre Entrüstung bei bestimmten Zwischenfällen auszudrücken und bestimmte Ansprüche zu unterstützen, konnte nicht verfehlen, eine Situation, die bereits gespannt war, noch zu verschärfen.«

 

Diese Verhöhnung des vergewaltigten Opfers wird noch überboten durch die Erklärung, daß »die gegenwärtige, politische Unbeständigkeit in China ein Hindernis für die Freundschaft mit Japan und eine Besorgnis für die übrige Welt« sei, woraus dann die Schlußfolgerung abgeleitet wird, daß »ein entscheidendes Erfordernis einer befriedigenden Lösung die zeitweilige internationale Kooperation im inneren Wiederaufbau Chinas »wie sie vom verstorbenen Dr. Sun Yat-Sen empfohlen wurde« wäre; Sun Yat-Sen, der große Befreier Chinas, kann sich gegen die Niedertracht nicht wehren, daß er als Kronzeuge für die Notwendigkeit der imperialistischen Intervention angerufen wird.

 

Und dieser Bericht wird mit dem Austritt Japans aus dem Völkerbund beantwortet! Aber die führenden Völkerbundmächte, England und Frankreich, können das gelassen hinnehmen, da ihre Beziehungen zu Japan dadurch nicht im mindesten getrübt werden. Bei den kommenden Auseinandersetzungen um China braucht Japan völlig freie Hand; auch England und Frankreich können eine größere Ellbogenfreiheit in Ostasien, unbeschwert von der Belastung des Völkerbundes mit chinesischen Beschwerden, gut gebrauchen. Sie wollen keine öffentliche Behandlung des Schicksals Chinas außerhalb des direkten Kreises der interessierten Großmächte. Der Krieg um die Mandschurei war nur die Ouverture. Das höllische Konzert beginnt erst. Aber die Völkerbundpolitik um die Mandschurei ist vorbei, da die Zeit gekommen ist, wo einzelne Völkerbundsmächte, nicht mehr der Völkerbund selbst, das neue Gleichgewicht der Weltmächte in Ostasien mitzubestimmen haben.

 

Während Japan nach dem im Völkerbundsbericht beglaubigten Rezept – ohne Krieg zu erklären und Grenzen zu verletzen – Jehol und die innere Mongolei dem japanischen Mandschukuo-Staat einverleibt, werden die strategischen Bahnen von der koreanischen Grenze und der südlichen Mandschurei in der Richtung auf den Amurfluß, auf die Hauptpunkte Ostsibiriens und des russischen Küstengebiets mit größter Hast ausgebaut. Gleichzeitig wird in Japan und im ganzen Fernen Osten die Propaganda für die japanische Monroedoktrin entfesselt, für die Monopolstellung Japans in Ostasien – gleich jener der U. S. A. auf dem amerikanischen Kontinent – für die Kooperation Japan-Mandschukuo-China, für die Schaffung eines asiatischen Völkerbunds, einer Art panasiatischer Union. England und Frankreich sind die größten Kolonialreiche, vor allem England hat seine wichtigsten Kolonialinteressen in Asien. Eine Verständigung mit Japan ist schon manches Opfer wert, vor allem dann, wenn es auf Kosten Chinas und, wie sie erwarten, auch der Sowjetunion geht. Daß da die Friedensharfen des Völkerbunds zu verstummen hatten, ist ganz klar. In Ostasien haben jetzt die General- und Admiralstäbe das Wort.