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Ruth Weiss: Am Rande der Geschichte. Mein Leben in China, Zeller Verlag Osnabrück 1999

 

S. 92-93

Im Jahre 1935 schloß meine »illegale« Tätigkeit auch eine politische Studiengruppe ein. Im ganzen waren wir ein Quartett – Heinz Grzyb war der Leiter, seine Lebensgefährtin Trude Rosenberg war natürlich dabei, Dr. George Hatem aus den USA war Nr. 3 und meine Wenigkeit beschloß die Gruppe; ich tippte auch das Material aus marxistisch-leninistischen Schriften, das Heinz uns studieren ließ. Heinz Grzyb wurde von englisch-sprechenden Freunden Hans Shippe genannt. Man wusste eigentlich wenig über seine Herkunft, außer dass er in Berlin gelebt hatte, unter dem Pseudonym »Asiaticus« schrieb und dass Agnes Smedley seine Artikel an Zeitschriften im Ausland sandte. (…)

 

Man lernte also eine ganze Menge über viele Bereiche – Heinz’s Studienkurs machte uns Karl Marx’s und Leníns Denkweise klar, daneben wurden auch Vergleiche mit der Wirklichkeit angestellt, durch politökonomische Studien, die in Marx’ Worten (aus Die künftigen Ergebnisse der britischen Herrschaft in Indien) darlegten: »Die tiefe Heuchelei der bürgerlichen Zivilisation und die von ihr nicht zu trennende Barbarei liegen unverschleiert vor unseren Augen, sobald wir den Blick von ihrer Heimat, in der sie in respektablen Formen auftritt, nach den Kolonien wenden, wo sie nackt geht.«

 

China war nur eine Halbkolonie, wurde aber von den Westmächten, nicht nur von einer Großmacht, genauso unerbittlich ausgenutzt, als ob nur ein Land beteiligt gewesen wäre. Großbritannien hatte allerdings damals in China mehr zu sagen als die anderen (…) Unsere Studiengruppe war gleichsam die Begleitmusik zu dem, was in China vorging. Da sich der Feudalismus oder zumindest feudalistisches Gedankengut bis auf unsere Tage in China erhalten hat, konnten auch Methoden der Ausbeutung der Werktätigen Tausende Jahre lang erhalten bleiben, die man im Westen eventuell aus dem viel, viel kürzeren Mittelalter kennt. (…)

 

S. 97

Inzwischen hatte ich auch unter der Hand eine Mimeographmaschine gekauft, auf der wir vier – unsere Studiengruppe – die Nachrichten, die uns von Zhang und Tao übermittelt wurden, vervielfältigten. Wir nannten uns »Freunde Chinas«, das Resultat unserer Nachforschungen wurde an Agnes Smedley zum Versand in die Welt weitergegeben. In meinem persönlichen »Archiv« habe ich nur vier solcher Zusammenstellungen, vielleicht brachten wir nicht mehr heraus. Wie ich mich erinnere, arbeiteten wir alle zwei Wochen eine solche Publikation heraus, unsere Tätigkeit erstreckte sich also über zwei Monate. (…)

 

S.106

Agnes war für mich eine Respektsperson, sie hatte mir auch mehrere Male fortschrittliche Bücher zu lesen gegeben, die ich bis heute schätze und in meiner Bibliothek gerne sehe. Sie hatte mich ja auch gewissermaßen politisch eingesetzt. Und als mich der Leiter unserer marxistischen Studiengruppe und seine Lebensgefährtin unmöglich zu machen suchten – weil ich zu formalistisch dächte (ich hatte versucht, in meinem Notizbuch, wo ich Filme, die ich gesehen hatte, oder Bücher, die ich las, verzeichnete, einen Filmtitel nachzuschauen!) – hatte ich Agnes aufgesucht und sie gefragt, ob mir wirklich jede Lebensberechtigung abgesprochen werden konnte. Damals hatte sie mich aufgerichtet, mir Mut zugesprochen, ich war damals wirklich dem Selbstmord nahe! Ich hatte doch die besten Absichten, mir die »richtige« Denkweise anzueignen, aber das war doch nicht so einfach für jemanden, der aus ganz anderen Verhältnissen in linksgerichtete Kreise hineingeraten war. Meine beiden »Widersacher« waren dogmatisch darauf versessen, daß jeder, der ihnen nahekam, genau wie sie denken musste. (…)