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andere Texte & ProjekteNeXXorWolfram Adolphi / 25.03. 2010 für "Das Blättchen"
NeXXor hat sich zu meinem Biographen ernannt. Ich kenne ihn nicht, und er kennt mich nicht. Ich kann ihn nicht kennen, denn er verbirgt seinen Namen. Er könnte mich kennen, wenn er denn wollte, aber er will nicht. »Ich kenne den Herrn nicht«, läßt er einen, der mit ihm diskutieren will, am 25. Februar mit lockerer Selbstverständlichkeit wissen. Und so geschieht es ihm also, daß er noch immer unsicher ist, wo ich nun was mit welchem Abschluss studiert habe, und er bringt alles ziemlich durcheinander, aber was soll’s: Er stellt sein Nichtwissen ins Netz, denn: Er hat sich zu meinem Biographen ernannt. Nicht irgendwo, sondern bei Wikipedia. Also bei – wie mittlerweile schon viele meinen – der Informationsquelle Nr. 1.
Nun lerne ich am eigenen Beispiel, wie es dort gehen kann. Auf die Idee gekommen, einen Artikel über mich zu verfassen, ist NeXXor am 3. Juli 2009. Warum? Darüber gibt er auf seiner eigenen – der NeXXor-Seite – bei Wikipedia bereitwillig Auskunft. Er interessiert sich »besonders für die zweite deutsche Diktatur und ihre Aufarbeitung«, und darum hat er Artikel verfaßt über erstens »DDR-Opposition und Opfer politischer Gewaltherrschaft« und zweitens »bekannte MfS-Täter«. Zur ersten Kategorie hat er bis zum 24. März 2010 fünfzehn Namensartikel verfaßt, zur zweiten dreiunddreißig. Mein Name führt die Liste der dreiunddreißig an. Mit dem angefügten Vermerk: »Von 1990 bis 1991 Vorsitzender des PDS-Landesverbandes Berlin, musste wegen IM-Tätigkeit zurücktreten«. Das ist richtig, daran ist nicht zu rütteln. Trotzdem bin ich sehr verwundert, was für eine Liste mich NeXXor da anführen lässt: mit fast ausschließlich ehemaligen stellvertretenden Ministern für Staatssicherheit und ehemaligen Leitern von Hauptabteilungen, Abteilungen und Bezirksverwaltungen des MfS. Egal, bei NeXXor sind alle dort streng nach dem Alphabet Aufgeführten gleichermaßen »Täter«.
Weil sich NeXXor also für mich ausschließlich aus der »Täter“-Perspektive heraus interessiert, enthielt sein erster Eintrag zu meiner Person auch nur Angaben über meine IM-Tätigkeit. Und die hatte er in willkürlich ausgewählten Quellen gefunden. Wie das eben geschieht beim Internet-Surfen. So stützt er den Fakt meines einstigen IM-Daseins ausgerechnet auf eine sehr persönliche Website: die meines engen Mitstreiters aus den Anfangsjahren der PDS Peter-Rudolf Zotl. Zotl hat die ausführliche Darstellung seines eigenen Weges in den Jahren 1989-91 ins Netz gestellt und sich dort auch zu meiner Person und meinem Rücktritt im August 1991 geäußert. Nun ist diese Äußerung also enzyklopädisch bedeutsam geworden. Eine weitere Quelle ist für NeXXor ein Aufsatz von Stefan Wolle aus dem Jahre 1991, und dann gibt es einen Verweis auf eine Arbeit von Dorit Pries aus dem Jahre 2008, aber die bezieht sich auf die Bemerkung im Text, daß André Brie 1991 mein Nachfolger als Berliner PDS-Vorsitzender geworden ist.
Nun stellt sich natürlich die Frage, warum sich NeXXor nicht der Anstrengung unterzogen hat, in den Medien des Jahres 1991 zu recherchieren. Da gibt es zum Beispiel eine Erklärung von mir, in der ich meine IM-Tätigkeit für die Hauptverwaltung Aufklärung beschrieben und meinen Rücktritt begründet habe. Das könnte für einen ausdrücklich an »Aufarbeitung« Interessierten ja durchaus von Bedeutung sein. NeXXor indes genügt das gerade mal zufällig Gefundene.
Aber Wikipedia ist eine Mitmach-Enzyklopädie, vielleicht rechnet NeXXor ja auf die Weisheit der anderen? Man kann das – es ist phantastisch – minutiös nachlesen. Von jenem 3. Juli 2009 bis zum 24. März 2010 – dem Tag, an dem ich für den vorliegenden Artikel letztmalig auf die Seite geschaut habe – sind 21 Wortmeldungen zum Text registriert. Ganz erstaunlich ist dabei, daß sich bereits in den ersten beiden Stunden nach Erscheinen des NeXXor-Textes am 3. Juli die Mitmacher Jón und Rita2008 zu Wort melden. Allerdings nur mit stilistischen Korrekturen. Am 16. Juli greift PDD ein mit der Vermutung, daß etwas nicht stimmen könne an NeXXors Satz, wonach Adolphi in Berlin Asienwissenschaften studiert habe und zugleich SED-Parteisekretär gewesen sei, denn diese Funktion »war vermutlich hauptamtliche Tätigkeit und daher eher nicht von einem Studenten auszuüben«. Seriöse Recherche hätte ergeben: Adolphi hat in Berlin nicht Asienwissenschaften studiert, sondern war an der Sektion Asienwissenschaften zweimal wissenschaftlicher Aspirant (1976-1980 und 1985-1988), und als er 1988-1989 an dieser Sektion Parteisekretär war, war er Oberassistent, und die Funktion des Parteisekretärs war nicht »vermutlich hauptamtlich«, sonder felsenfest ehrenamtlich.
In der Folge des Mitmachens gibt es Geplänkel zu diesem und jenem Begriff im Text, dabei wird erfreulicherweise die Liste meiner Veröffentlichungen erweitert, und auch so spaßige Typen wie Kannibal und Masturbius reihen sich unter meine Biographen ein.
Spannend wird es, als am 25. Februar 2010 14 Uhr 51 Wand13 mit einem Textvorschlag eingreift. Wand13 kennt, so scheint es, meine eigene Website asiaticus, auf der auch biographische Angaben nachzulesen sind. Aber NeXXor ist auf der Hut, hat offenbar für seine Artikel ein Alarmsystem. Schon 15 Uhr 02 teilt er mit, dass er den Text von Wand13 »revertiert«, also wieder herausgenommen hat. In der Diskussion ist nachzulesen, daß er mit dem Stil von Wand13 nicht einverstanden ist und ihm außerdem Quellen zu den Aussagen von Wand13 fehlen. Aber dann ist 15 Uhr 12 und 15 Uhr 30 auch Rita2008 mit zwei Beiträgen wieder an Deck, und siehe: Einige Punkte aus dem Beitrag von Wand13 gehen in veränderter Form in den Text ein. Auch meine asiaticus-Seite wird nun als Quelle geführt. Der Text gewinnt. Aber Studium in Potsdam und wissenschaftliche Laufbahn an der Humboldt-Universität bleiben weiterhin wild miteinander vermischt.
Als vorerst letzter Veränderer tritt am 15. März Sf67 auf den Plan. Er (sie?) hat im Handbuch der 12. Wahlperiode des Berliner Abgeordnetenhauses mein Geburtsdatum entdeckt. Und NeXXor hat nicht revertiert!
Was ist nun mit der offenbar so hochkomplizierten Frage meiner Studien? Für NeXXor schreibe ich es hier nochmal auf: 1971-76 Studium der Außenpolitik am Institut für Internationale Beziehungen Postdam-Babelsberg, das Weitere siehe oben. 1991 übrigens fristlose Kündigung durch die Humboldt-Universität ohne Anhörung oder irgendein Gespräch. Und auch ohne Gauckbehördenakte.
NeXXor ist mein Biograph. Selbsternannt. Er ist wichtig. Jeder schlägt heute bei Wikipedia nach. Aber NeXXor trägt für nichts Verantwortung. Kein Name, keine Adresse. Janusköpfige Internet-Welt.
http://das-blaettchen.de/nexxor/nexxor/
Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus
Das Wörterbuchprojekt wurde 1983, anlässlich des hundertsten Todestages von Karl Marx ins Leben gerufen.
Sein erstes Werk ist die deutsche Ausgabe von Georges Labicas Kritischem Wörterbuch des Marxismus in 8 Bänden von 1983 bis 1989.
Aus dem Plan, Ergänzungsbände zum KWM zu erstellen, erwuchs unterm Eindruck des Zusammenbruchs des europäischen Staatssozialismus das Projekt des Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus, dessen Publikation 1994 begann.
Wolfram Adolphi ist als einer der Autoren an diesem Werk beteiligt.
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